Timos Gedanken

Die bittere Wahrheit – Backstage in der Buchbranche

(Lesezeit: 5 Minuten)

In der Buchbranche herrscht seit einiger Zeit ein Druck, der so leise beginnt wie das Knistern von Papier, aber schnell zu einem unüberhörbaren Rauschen wird. Was von außen wie eine Welt voller Fantasie und kreativer Freiheit aussieht, fühlt sich für viele, die mittendrin stecken, ganz anders an. Autor*innen kämpfen nicht nur mit ihren Geschichten, sondern mit Algorithmen, Deadlines und der Erwartung, ständig sichtbar zu sein. Bloggende Personen, die einmal aus reiner Leidenschaft geschrieben haben, spüren plötzlich, dass Leidenschaft nicht mehr reicht, dass Content pünktlich, regelmäßig und vor allem klickbar sein muss. Viele von ihnen leisten diese Arbeit zusätzlich zu einem Vollzeitjob, einem Teilzeitjob oder ihrem Studium. Sie schreiben Rezensionen, produzieren Videos und betreuen ihre Community in der Freizeit, oft spät abends oder an Wochenenden, und setzen sich damit enormem Druck aus.

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Doch es sind nicht nur die Schreibenden und Bloggenden, die unter diesem Druck leiden. Auch in Verlagen, bei Agenturen und im Buchhandel wächst die Last. Lektorierende arbeiten oft unter Zeitdruck, jonglieren mehrere Projekte gleichzeitig und tragen Verantwortung für Texte, die in einem gnadenlosen Markt bestehen müssen. Marketingabteilungen sind permanent damit beschäftigt, Bücher so zu inszenieren, dass sie im unaufhörlichen Strom von Neuerscheinungen nicht untergehen. Verkaufende Personen im Buchhandel kämpfen mit geringen Margen, langen Arbeitszeiten und der Erwartung, jeden Trend sofort parat zu haben. Und Übersetzende, die oft im Hintergrund bleiben, spüren den Takt besonders schmerzhaft. Die Übersetzerin Lisa Kögeböhn hat kürzlich in einem Post vorgerechnet, dass viele Menschen in diesem Bereich für ihre hochspezialisierte Arbeit gerade einmal auf den Mindestlohn kommen. Ein Buch in eine andere Sprache zu übertragen, erfordert Fingerspitzengefühl, kulturelles Wissen und literarisches Feingefühl, doch entlohnt wird diese Arbeit, als wäre sie ein Nebenjob ohne Anspruch.

Es ist diese unsichtbare Waage, die ständig im Raum steht: Reichweite gegen Relevanz, Verkaufszahlen gegen Selbstwert. Schreiben wird Arbeit, Lektorieren wird Akkord, Marketing wird Dauerstress, Übersetzen wird zur Selbstausbeutung, selbst das Lesen wird Pflicht. Wo früher Neugier war, herrscht heute das leise Gift der Vergleichbarkeit. Und während man nach außen strahlt, dass man Bücher liebt, nagt im Inneren die Frage, ob man ihnen nicht längst das genommen hat, was sie eigentlich sein sollten: ein Rückzugsort, kein Kampfplatz.

BookTok hat all das verstärkt. Natürlich gibt es Erfolge, die man ohne TikTok nie gesehen hätte. Geschichten, die viral gingen, Autor*innen, die über Nacht Stars wurden. Aber der Preis ist hoch. BookTok liebt Hypes, schnelle Emotionen, das Überschwängliche. Wer da nicht mithalten kann, wer nicht die perfekte Ästhetik oder die richtigen Trigger in dreißig Sekunden liefert, verschwindet schnell im digitalen Nichts. Und genau hier frisst sich der Druck ins Herz. Man misst sich an Zahlen, an Trends, an Fremdbildern, statt an dem, was man eigentlich erzählen wollte.

Dabei wird oft vergessen: Bücher brauchen Zeit. Geschichten wachsen nicht wie Clips im Feed, sie sind keine Einmalprodukte, die man endlos reproduzieren kann. Vielleicht müssten wir als Lesende wieder lernen, zu warten. Warten auf ein Buch, das reifen darf. Warten auf eine Stimme, die nicht gehetzt klingt. Geduld haben und gleichzeitig darauf bestehen, dass Schreibende für ihre Arbeit fair bezahlt werden, auch wenn zwischen zwei Veröffentlichungen Jahre liegen. Kreativität sollte nicht im Akkord entstehen, sondern in einem Rhythmus, der den Menschen dahinter guttut.

Und dann gibt es Stimmen in der Politik, die sagen wie Friedrich Merz: Wir müssen mehr arbeiten. Doch gerade in der Buchbranche zeigt sich, wie absurd dieser Satz ist. Viele arbeiten längst mehr, als ihnen guttut. Sie jonglieren mehrere Jobs, schreiben nachts, lektorieren am Wochenende, organisieren Lesungen nach Feierabend, lesen im Akkord, übersetzen bis in die frühen Morgenstunden und verdienen am Ende doch kaum genug, um davon leben zu können. Bloggende Personen leisten ihr Engagement zusätzlich zur eigenen Arbeit oder zum Studium und tragen diesen Druck oft allein. Hier wird nicht zu wenig gearbeitet, hier wird zu viel gearbeitet und zu selten anerkannt. Während also die öffentliche Debatte über Produktivität tobt, brechen hinter den Kulissen einer Branche, die von Kreativität lebt, die Menschen reihenweise zusammen.

Wir müssen uns nicht verhalten wie Taylor Swift in ihrem Song, in dem sie beschreibt, dass sie selbst mit gebrochenem Herzen noch alles schafft. Niemand muss unter Schmerzen weitermachen, nur um eine perfekte Show aufrechtzuerhalten. Zeit ist ein luxuriöses Gut, und genau so sollte sie behandelt werden. Geschichten entstehen nicht, weil man sich selbst überrennt, sondern weil man sich erlaubt, Luft zu holen.

Das Tragische ist, dass so viele ihren Weg aus Liebe zu Geschichten gestartet haben. Doch diese Liebe wird von Erwartung erdrückt. Wenn Bücher nicht mehr verschlungen, sondern abgearbeitet werden, wenn Texte nicht mehr wachsen dürfen, sondern performen müssen, dann ist das Fundament der Branche in Gefahr, die Freude. Und mit ihr die mentale Gesundheit derjenigen, die sie tragen.

Vielleicht ist es Zeit, wieder langsamer zu werden. Geschichten nicht danach zu bewerten, ob sie virales Potenzial haben, sondern danach, wie sie sich anfühlen. Bloggende Personen könnten sich erlauben, Pausen einzulegen, ohne Angst, ihre Community zu verlieren. Lektorierende könnten Räume bekommen, in denen Qualität wieder wichtiger ist als Tempo. Übersetzende könnten für ihre feine Arbeit so entlohnt werden, dass sie nicht zwischen zwei Deadlines zusammenbrechen. Schreibende könnten Bücher verfassen, die nicht in Schubladen passen. Und wir als Lesende könnten lernen, nicht nur Hype zu konsumieren, sondern Vielfalt zu feiern, auch wenn das heißt, manchmal länger zu warten.

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