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Was steckt hinter dem Hype um Alchemised?

Selten hat mich ein Buch so tief irritiert und gleichzeitig so nachdenklich gemacht wie dieses. Nicht weil es besonders komplex oder literarisch beeindruckend wäre, sondern weil ich nach der letzten Seite das Gefühl hatte, etwas verstanden zu haben, das weit über die Geschichte hinausgeht. Nämlich warum Gewalt plötzlich als Gefühl verkauft wird.

Auf dem Klappentext wird eine düstere Fantasygeschichte versprochen, eine epische Liebe, die sich gegen Krieg, Tod und Schicksal behauptet. In Wahrheit aber geht es hier vor allem um Macht, Kontrolle und Missbrauch, um Menschen, die gebrochen werden, um Systeme, die aus Schmerz bestehen und um eine Beziehung, die keine Liebe ist, sondern Abhängigkeit.
Dieses Buch ist ganz klar eine Romantasy, denn ohne Liebesgeschichte funktioniert der Plot nicht. Die Beziehung zwischen den Hauptfiguren ist der Motor der Handlung, sie treibt die Geschichte an, bestimmt ihre Wendungen und definiert, worum es letztlich geht. Ohne diese vermeintliche Liebe, die eher wie eine ungesunde Bindung wirkt, bliebe von der Handlung kaum etwas übrig.
Die Geschichte spielt in einer Welt, die an Kriegszeiten erinnert, durchzogen von Experimenten, medizinischen Eingriffen und grausamen Ritualen. Tote werden wiederbelebt, Körper verändert, Grenzen zwischen Leben und Tod aufgehoben. Im Zentrum steht eine junge Frau, die überlebt, weil sie keine Wahl hat und eine Figur, die sie gleichzeitig beschützt und zerstört. Ihre Verbindung ist das Herzstück der Geschichte, doch dieses Herz schlägt in Ketten.
Ich habe das Buch bis zum Ende gelesen, obwohl mir jeder Abschnitt schwerer fiel als der vorherige. Nicht weil die Autor*in schlecht schreiben würde, sondern weil die inhaltliche Härte irgendwann abstumpft. Es passiert so viel Grausames, dass nichts mehr wirklich weh tut. Man liest weiter wie in Trance, getrieben von der Hoffnung, dass sich all das Leid irgendwann auflöst, dass es am Ende einen Sinn gibt. Doch dieser Moment kommt nicht. Was bleibt, ist eine Geschichte, die vorgibt, von Liebe zu handeln, dabei aber nur zeigt, wie sich Trauma in Romantik verkleidet. Auch handwerklich ist Alchmised nicht ausgereift. Stilistisch hapert es an mehreren Stellen. Der Satzbau wirkt häufig unrhythmisch, die Wortwahl wiederholt sich und viele Dialoge verlieren an Natürlichkeit. Szenen, die emotional tragen sollten, verhallen, weil sie zu gleichförmig erzählt werden. Beschreibungen driften ins Theatralische, ohne dabei atmosphärisch zu bleiben. Die Welt wirkt nicht sorgfältig ausgearbeitet, sondern bruchstückhaft zusammengesetzt. Gerade im Fantasygenre, das von Struktur und Konsequenz lebt, fällt diese Unausgeglichenheit stark auf. An der Übersetzung ist dagegen nichts auszusetzen. Sybille Uplegger, Karen Gerwig, Christiane Sipeer und Lisa Kögeböhn haben aus diesem Text das Beste herausgeholt, was herauszuholen war. Ich habe die Leseprobe des Originals gelesen und es bestätigt nur den Eindruck: SenLinYu hätte am englischen Text noch deutlich stärker arbeiten müssen. Die Übersetzenden haben mit großem handwerklichen Feingefühl versucht, den Ton zu bewahren und die rhythmischen Schwächen abzufedern. Das ist ihnen bemerkenswert gut gelungen. Ich verstehe dennoch, warum viele Lesende das Buch faszinierend finden. Es bietet eine Form von Intensität, die in unserer Zeit offenbar gefragt ist. In einer Welt, die von Reizüberflutung und emotionaler Abstumpfung geprägt ist, wirkt jede extreme Darstellung wie ein Versprechen von Echtheit. Schmerz scheint heute als Beweis für Tiefe zu gelten. Wer fühlt, egal was, fühlt wenigstens etwas und das allein reicht manchen schon, um ein Werk zu lieben. Doch genau hier liegt das Problem. Bücher wie dieses verwandeln Leid in Ästhetik. Sie tun so, als sei Gewalt eine Form von Leidenschaft, als könne Erlösung aus Erniedrigung entstehen. Das ist gefährlich, nicht nur moralisch, sondern auch literarisch. Denn es verändert, was wir als gute Erzählung wahrnehmen. Wenn ein Buch Aufmerksamkeit bekommt, weil es schockiert, verliert das Erzählen selbst an Bedeutung. Diese Entwicklung im Buchmarkt beunruhigt mich. Geschichten wie diese werden mit Begriffen wie „dark“, „raw“ oder „real“ beworben, als wären Schmerz und Trauma automatisch Tiefe. Doch was sie oft wirklich bieten, ist Leere, die mit immer drastischeren Bildern gefüllt wird. Der Markt reagiert auf Klicks, auf virale Emotionen, auf Tränen in kurzen Videos. So werden Grenzen verschoben, nicht weil Literatur mutiger geworden wäre, sondern weil sie gelernt hat, Empörung zu verkaufen. Dabei hätte die Autorin aus dieser Geschichte etwas Großes schaffen können. Es gab die Chance, über Macht und Verantwortung zu schreiben, über Menschlichkeit im Angesicht des Grauens. Doch stattdessen entscheidet sich das Werk für Sensation statt Reflexion. Die Gewalt bleibt Selbstzweck, das Trauma wird Bühne und die Figuren sind nur noch Träger für all das Leid, das Lesende angeblich spüren sollen.
Ich habe das Buch beendet, weil ich verstehen wollte, was so viele daran bewegt. Nun weiß ich es und es macht mich traurig.
Nicht weil Menschen dunkle Geschichten lieben, sondern weil wir uns daran gewöhnt haben, dass Schmerz die einfachste Form von Bedeutung ist.
Wer perfekte düstere Fantasy lesen möchte, sollte stattdessen zum neuen Werk von V. E. Schwab greifen. Dort zeigt sich, was passiert, wenn Dunkelheit mit erzählerischer Reife und echter emotionaler Tiefe verbunden wird.

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