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Loud and Proud Bookfestival – Interview mit Yael van der Wouden

WAS HAT DICH DAZU INSPIRIERT DIE HANDLUNG AN EINEM – FAST CLAUSTROPHOBISCH WIRKENDEN ORT SPIELEN ZU LASSEN? WELCHE ROLLE SPIELT DAS HAUS FÜR ISABEL UND EVA- IST ES NUR EIN SETTING, ODER MEHR EIN SPIEGEL IHRER INNEREN KONFLIKTE?

Ich liebe einen guten „Haus-Roman“. Einige meiner liebsten modernen Klassiker – Forsters „Howards End“, Austen „Stolz und Vorurteil“ – sind eben solche „Haus-Romane“. Ein Haus wird geöffnet – wer zieht ein? Eine Frau stirbt und vererbt ihr Haus an eine Frau einer anderen gesellschaftlichen Klasse, was passiert? Die Frage wer nach „drinnen“ und wer nach „draußen“ gehört, sind jeder Geschichte einverleibt – denke ich. Wer hatte noch einmal gesagt, dass jede Geschichte entweder davon handelt, wie ein Fremder ins Dorf kommt, oder jemand das Dorf verlässt? Es ist die Idee Insider gegen Outsider, die gerade in Häusern so verlockend wirkt, da Häuser klar ein „Innen“ und ein „Außen“ abgrenzen. So werden die dumpfen Fragen nach Kultur und Identität in einem physischen Rahmen einfach erlebbar. Da sind die Wände – Hier ist das Dach – Dort ist die Tür. Ein Haus ist ein hervorragender Container. Dabei auch noch einer, der erfüllt von Konflikt ist, nicht nur historischer Konflikt, sondern auch von einem Inneren: Isabels Repression ist an das Haus gebunden. Solange sie das Haus instand hält, es putzt und ordentlich hält, so lange kann sie Chaotisches nicht erreichen – Das Verlangen zum Beispiel, welches sie versucht vor der Tür zu halten. Dann aber erreicht all das sie doch – in Evas Gestalt.

N DEN LETZTEN KAPITELN BEDIENST DU DICH EINER NEUEN ERZÄHLERISCHEN DIMENSION IN FORM VON EVAS TAGEBUCHEINTRÄGEN. WIESO HAST DU DICH DAZU ENTSCHIEDEN, DIE PERSPEKTIVE ZU VERÄNDERN? WIE VERÄNDERT EVAS STIMME DIE WAHRNEHMUNG IHRER BEZIEHUNG ZU ISABEL UND IHRER POSITION IN EINER KONSERVATIVEN GESELLSCHAFT?

Ich war mir eine ganze Weile nicht einmal sicher, ob wir die Perspektive überhaupt verändern müssen/sollten! Ich wollte nicht einmal einen neuen erzählerischen Blickwinkel – so viel der Spannung lebt gerade davon, dass wir in Isabels Perspektive feststecken – genau wie Isabel im Haus und in ihrem Leben feststeckt – aber doch habe ich irgendeine Möglichkeit der Expositionsflut gebraucht. Also bin ich immer wieder verschiedenste Möglichkeiten durchgegangen: Soll es ihr eine Tante sagen? Soll Isabel in Stadtarchiven fündig werden?

Soll sie den Freund einer Freundin finden? Jede einzelne dieser Möglichkeiten erschien mir zu unsauber und weitläufig für eine Geschichte, die Großteils recht beengt erzählt wird. Die Idee mit dem Tagebuch kam mir dann mitten im Schreibprozess, als mir auffiel, dass Eva ständig ein kleines Notizbuch mit sich herumträgt. Am Anfang habe ich noch sehr mit dieser Idee gehadert, da sie mir zu prätentiös vorkam, doch je mehr ich schrieb, desto bewusster wurde mir, dass ich, um der Story gerecht zu werden, nah am Kern der Geschichte bleiben musste – dem Haus und allem darin. Das Tagebuch stellte so für mich als Autor*in eine unglaublich befreiende Kraft dar. Was für eine Erleichterung sich nach all den Kapiteln von Isabel zu trennen; zu Eva zu werden und dabei viel meiner Recherche über die Zeit nach dem Krieg einbauen und teilen zu können. Zudem sehen wir wie witzig, gemein und brillant Eva ist. Wenn wir nun also ihre Worte durch Isabels Perspektive lesen, ahnen wir, wie sie sie verletzen oder schockieren könnten. Diese Schichtung/Verwebung und den Effekt, den sie hat, hat mir sehr gefallen. So wurde es auch zu meinem Lieblingskapitel.

DEINE GESCHICHTE SPIELT IM JAHR 1961 UND BEHANDELT DIE NACHWEHEN DES ZWEITEN WELTKRIEGES. WARUM WAR DIESE ZEIT BESONDERS INTERESSANT FÜR DICH? WIE HALLEN DIE THEMEN DIESER ZEIT: TRAUMA, VERDRÄNGUNG UND SOZIALE NORMEN IN ISABELS UND EVAS QUEERER IDENTITÄT WIEDER?

Es war das erste große Stück Geschichte, dass man mir beigebracht hatte – die des Krieges und was danach passierte. Es ist die Geschichte meiner Familie, warum wir hierher und dorthin gegangen sind; es ist die Geschichte der Familien meiner Freunde, meiner ganzen Gemeinschaft. Ob es Juden waren, oder nicht – die Leben der meisten Niederländer*innen wurden durch die Nachkriegszeit auf die ein- oder andere Art geformt. Als ich dann auf die Uni ging, studierte und schrieb ich über Nachkriegsnarrativen und den Anteil, den sie an Literatur haben/den Platz, den sie in der Literatur einnehmen. Es war nur logisch, dass diese Zeit die Bühne meines ersten Romans gehören sollte. Das, und Liebe. Die Liebe ist, so wie ich denke, immer noch der Hauptstar der Show; Ich denke, unser Verlangen danach zu kontrollieren, wie wir uns an geschichtliche Ereignisse erinnern, kann man darin aufgefangen sehen, wie wir unsere eigenen Leben erzählen. Sozusagen ist die Art, in der wir uns verweigern, der Geschichte ins Auge zu sehen, gleichläufig mit der Art, in der wir Verlangen und Verdrängung begegnen wollen. Beide sind Kräfte, die eine Weile ruhen können, nicht aber für immer.

DIE ANZIEHUNG ZWISCHEN ISABEL UND EVA BLEIBT OFT UNAUSGESPROCHEN, ABER FÜHLBAR. WAR ES DIR WICHTIG EINE QUEER LIEBESGESCHICHTE ZU ERZÄHLEN, DIE NICHT DEN KLASSISCHEN ERZÄHLWEISEN FOLGT? WELCHE HERAUSFORDERUNGEN ODER ÜBERLEGUNGEN HATTEST DU BEI DER DARSTELLUNG IHRER DYNAMIK?

Mir war es wichtig eine queere Geschichte zu erzählen, die zu mir passt, sich dabei aufregend anfühlt und mich im Würgeriff hält. Ich schätze mich sehr glücklich, den Aufschwung queerer Literatur der letzten zehn Jahren mitbekommen zu haben – ich erinnere mich an die späten 90er, in denen es fast wie eine Detektivarbeit anmutete, Bücher mit queeren Verlangen zu finden, die am Ende nicht tragisch ausgehen. Wie wunderbar anders es jetzt ist! Dennoch finde ich mich oft in der Wahl zwischen einer Coming-of-age-Story und einer traurigen literarischen Geschichte wieder. Ab und an brauche ich genau das, doch habe ich aber das Gefühl es gibt noch so viel mehr zu erzählen. So schrieb ich das, wonach ich mich sehnte: dem Verlangen selbst, Mystery, Nervenkitzel, ohne dabei diese Elemente nur von einander abhängig zu machen, sondern zu einem wichtigen Teil des Plots werden ließ.

DEIN DEBÜT WURDE VERDIENTERMAßEN AUF DIE SHORTLISTE DES BOOKER PRIZE GESETZT – WAS BEDEUTET DIR DIESE ANERKENNUNG? HAT DIE NOMINIERUNG DAS LICHT GEÄNDERT IN DEM DU DEINE ARBEIT AN KOMMENDEN PROJEKTEN SIEHST?

Das alles ist für mich voll und ganz surreal. Es war mein größter Traum ein gutes Buch zu schreiben. Nicht nur irgendein Buch. Ich habe vor langer Zeit gelernt, genug Worte aus mir herauszuquetschen um einen Text als Buch gelten zu lassen, nur war er da noch nicht gut. Als ich dann ein Buch vor mir hatte, von dem ich überzeugt, war es, sei gut, wurde es mein größter Traum, dass es irgendjemand liest und als es wer las war mein nächster Schritt zu überlegen wäre es nicht schön, wenn man es verlegen würde? Ich war schon immer eine fleißige Leserin der Booker Prize Listen und des Women’s Prize, pflichtbewusste Literaturstudentin, wie ich eine war und natürlich bekommt man „ausgiebige Duschträume“ davon, eines Tages selbst auf genau diesen Listen zu stehen und Interviews zu geben, in denen man einfach nur perfekt und charmant wirkt. Es ist ein enormer Schock, wenn man plötzlich in genau dieses Fantasieland katapultiert wird – es veränderte mein Leben. Manchmal weiß ich gar nicht so genau, wie ich all dies in mir unterbringen soll: die Dankbarkeit, die Freude, den Horror gesehen zu werden, das Grauen vor dem nächsten Buch und an manchen Tagen kann ich es kaum zurückhalten!

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