Marcel, Rezensionen

„Alles Okay“ von Nina LaCour, übersetzt von Sophie Zeitz

„Wie oft bekommt man eine zweite Chance für den ersten Eindruck?“

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bislang noch keinen Roman von Nina LaCour gelesen hatte. Bislang bewunderte ich sie im Stillen und ohne eigene namenhafte Referenz von meinem imaginären Lesesessel aus. Ich wusste nur, dass ihre Romane gefeiert werden und die Klappentexte klangen immer so vielversprechend, dass ich auch tatsächlich „We are okay“ im Original Zuhause stehen hatte, unberührt.
Jetzt erscheint „Alles okay“ bei Hanser und ich durfte vorab das Buch lesen.

Es ist Weihnachten, aber Marin fährt nicht nach Hause. Mit Mühe und Not darf sie im Wohnheim ihrer neuen Uni die Ferien verbringen. Sonst kann sie auch nirgendwo hin. Sie ist geflohen, weg von ihrem alten Leben, das vielleicht mehr Schein als Sein war.
Doch ganz kann sie ihrer Vergangenheit nicht entrinnen: ihre einst beste Freundin Mabel kommt zu Besuch. Mabel, der sie nicht mehr geantwortet hat, seitdem sich alles verändert hat.

Leute, ich mache euch nichts vor: ich liebe dieses Buch! Aber bittet lest es jetzt nicht im Sommer, am Strand oder sonst wo, wo man sich eben im Sommer gerne aufhält. Ich habe lange, lange keine Geschichte mehr gelesen, in der eine solche stille Traurigkeit inne wohnt. Legt es euch parat für den Herbst, das Laub fällt und die Temperaturen ideal für eine Decke und einen Tee oder einen Kakao sind.

Aber jetzt mal mehr zum Buch:

Taktisch geschickt schildert LaCour von Kapitel zu Kapitel abwechselnd, was geschehen ist und wie es mit Marin nun weitergeht. LaCour schreibt atmosphärisch, ohne dem Leser ein Bild aufzudrängen, elegant und leichtfüßig, dass die kurzgehaltenen Kapitel wie die Strömung des Wassers vorbeiziehen.

Dennoch ist das Buch kein wirklicher Pageturner. Marins Geschichte ist schön und traurig zugleich. Es fällt mir schwer die passenden Worte zu finden. Man beginnt das Buch und wird mit einer Marin konfrontiert, die der Marin im Sommer davor kaum ähnelt. Die Sommer-Marin ist voller Leben, sie feiert Parties und sprüht vor und für Philosophie, Literatur, Kreativität und Liebe. Sie ist keine schillernde Figur im Rampenlicht, aber ein Mädchen, das ich gerne zur Freundin hätte. Die Winter-Marin ist dagegen zurückgezogen, still, voller Angst und ohne Hoffnung; bemüht ’normal‘ zu sein und ihr Leben so gut es geht weiterzuleben.
Seite für Seite erfährt man, was passiert ist und wie es geschehen konnte, dass Marin nun eine andere ist.

Mabel scheint Marin perfekt zu ergänzen. Die einst besten Freundinnen waren für mich in den Sommer-Kapiteln immer eine Einheit, mit Ecken und Kanten, was sie zu etwas besonderem gemacht haben. Dabei ist Mabel eher die impulsivere, schlagfertigere von beiden. Beinahe wie Seelenverwandte, auch wenn das vielleicht zu viel des Guten ist.
In den Winter-Kapiteln ist zwischen den beiden eine Distanz, die mir beim Lesen wehgetan hat. Diese Einheit, die sie für mich gebildet haben, hat Risse und beide wissen nicht, wie und ob sie diese wieder gekittet bekommen.

Und da ist noch Gramps, Marins Großvater. Gramps… immer, wenn ich an das Buch zurückdenke, sind da so unterschiedliche Gefühle, die sich da auftun… Gramps hat sich immer um Marin gekümmert, denn Marin hat keine Eltern mehr. Er brachte sie immer zur Schule, hat Abendessen gemacht, gebacken und gesungen. Und Poker gespielt. Gramps hat eine besondere Rolle im Buch, er ist der heimliche Held und dann ist er wieder ein Mensch, wie wir alle anderen auch.

Besonders angetan haben es mir aber Mabels Eltern Ana und Javier, die so viel Freude und Kraft vermitteln, dass es mir automatisch ein Lächeln entlocken konnte. Aber auch über Hannah, Marins Mitbewohnerin, hätte ich gerne noch viel mehr gelesen. Sie hat nur eine kleine Szene, in der sie aktiv mitspielt und danach folgen viele Erinnerungen, die Marin erzählt und … Hannah muss toll sein! Ich hätte gerne noch viel mehr Hannah im Buch gehabt!

Auf diesen 200 Seiten befinden sich so viele Emotionen, dass es einen beinahe zerdrückt. Da ist unglaublich viel Liebe, da ist Energie und Zuversicht. Aber im genauen Maß sind da auch Trauer, Verzweiflung, Melancholie und auch Wahnsinn. Es ist still und es tut weh. Keine Ahnung, wie es LaCour gelungen ist all das auf so wenigen Seiten zu verpacken. Für mich hätten es gerne auch noch 50 Seiten mehr sein können, denn das Ende kam dann doch etwas abrupt und war nicht so brillant wie der Rest (das ist aber Jammern auf hohem Niveau!).

Unbedingt Leseempfehlung für alle. Wirklich alle.

Last but not least: Danke an den Verlag, dass er dieses wunderwunderschöne Cover übernommen hat. Nicht nur als bekennender Coverkäufer, sondern auch bibliophiler Mensch ist „Alles okay“ ein wahrlicher Gewinn für mein „Bücherregal“.

Vielen Dank an Hanser für die Bereitstellung des Leseexemplars.

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